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Der Mann

 

(aus meinem Buch "Momente")

Er war einfach schön. Sophie gehörte ja nicht zu den Frauen, die sich ständig nach jedem Mann umdrehten, aber nun hatte es auch sie erwischt. Mit offenem Mund starrte sie zu ihm hin, bis ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie ein entsetzlich dummes Bild abgeben musste und sie schlagartig den Kopf senkte, um doch immer wieder verstohlen auf den Mann zu schielen. Er war einfach schön.

Das Aussehen eines Mannes war ja nicht so wichtig, ein netter Kerl musste er sein, da war sich Sophie sicher. Sie hatte einmal einen Bodybuilder gekannt, ein einziges Muskelgebirge ohne auch nur ein Gramm Fett, mit einem markanten Gesicht, ein Ausbund an Kraft war er gewesen und sie hätte sich damals beinahe zu ihm hingezogen gefühlt, wäre er nicht dauernd mit sich und seinem Körper beschäftigt gewesen.

Der hier war auch muskulös. Hoch aufgerichtet stand er da, den Kopf leicht zur Seite geneigt, unerschütterliche Kraft strahlte er aus, obwohl sein Körper seltsam entspannt wirkte. Und er lächelte. Nicht etwa selbstgefällig wie Sophies Bodybuilder damals, nein, sein Lächeln war warm, weich, fast ein wenig feminin. Sophie musste an Heinrich denken, den sie vor einigen Jahren geliebt hatte. Musik hatte er studiert und nebenbei Philosophie, der hatte auch so ein zärtliches Gesicht gehabt. Aber nicht nur sein Gesicht, auch sein Wesen war so gewesen, immerzu hatte er sich in sie hineingefühlt und ihr all ihre Wünsche aus den Augen abgelesen, beinahe bevor sie selbst sie empfunden hatte, bis es ihr zu viel geworden war. Heinrich war ein lieber Kerl gewesen, aber keine Spur von Kraft.

Den idealen Mann gibt es nicht, hatte sie sich gedacht und bis heute damit Recht behalten. Die einen waren redlich und lieb, aber verweichlicht, die härteren derart mit sich selbst beschäftigt, dass sie ringsum nichts bemerkten, schon gar nicht die zarten, behutsam entdeckt werden wollenden Gefühle einer liebenden Frau. "Das ist David", hörte sie jemanden hinter sich murmeln und drehte sich um. Der Satz hatte nicht ihr gegolten, aber offenbar fühlten andere Frauen genau wie sie.

Sophie blickte wieder zu dem Mann, der angeblich David hieß. Eigentlich passte der Name gut zu ihm. So wie jener in der Bibel strahlte er stilles Selbstbewusstsein aus, im Gegensatz zum derben Machtmenschen Goliath. Den idealen Mann gab es also doch. Das magische Lächeln seines Lockenkopfes, der kraftstrotzende und doch entspannte Körper, der knackige Po und die sichere, aber nicht stolze Haltung des Mannes machten es Sophie unmöglich, sich sattzusehen. Irgendwie schämte sie sich dafür, aber warum? Offenbar erging es doch anderen Frauen auch wie ihr.

Sie begann sich auszumalen, wie es wäre, von einem solchen Mann umarmt zu werden, von seinen starken Armen zärtlich um die Hüfte gefasst, den Kopf an seine Brust zu legen und gemeinsam zu träumen. Geborgenheit und Wärme würden sie umfluten, meinte Sophie, aber auch unbändige Freiheit und Lebenslust, und sie fragte sich, welche Gespräche sie mit ihm würde führen können, wie einer wie er wohl küsste und ob er ihr die Führung würde sein können, die sie brauchte, aber ohne sie dabei zu vereinnahmen oder ihr Wesen verändern zu wollen.

Es dauerte eine kurze Weile, bis Sophie sich wieder gefasst, bis sie ihre Phantasien wieder unter Kontrolle gebracht hatte. Und langsam wurde ihr klar, dass es den idealen Mann doch nicht gab, denn auch dieser, David, hatte Fehler: Er war zu groß. Und er war aus Stein. 

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