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Vater und Sohn

Aus meinem Buch "Lebenslied"
Musik-Intro von der CD "Wege":   

 

 

„Wie schwer ist ein Elefant?“

Hand in Hand stapften Vater und Sohn über den schmalen Pfad am Rande des Waldes zu ihrer Rechten. Links von ihnen lag eine herrliche Wiese, ein sattes Grün mit prächtigen roten Tupfen von den Mohnblumen, über ihnen war der blaue Himmel geschmückt mit ein paar zarten Schäfchenwolken, vor ihnen lag das Dorf aus dem sie kamen und das sie bald wieder erreichen würden und hinter ihnen lag der größte Teil ihres Weges, den sie in bester Stimmung bewältigt hatten, aber nur die letzten paar Minuten während des kleinen Anstieges schweigend, wie der Vater seufzend dachte ob der Fragewut seines Kindes.

„Ziemlich schwer, ziemlich schwer.“, antwortete er ein wenig lustlos. Der Knabe aber ließ nicht locker:

„Wie schwer ist ein Elefant?“

Der Vater dachte kurz nach, dann sagte er:

„Wie zwei Autos, ungefähr.“

Da er aber erkennen konnte, dass der junge Mann noch nicht zufrieden war, dass ihm schon die nächste Frage auf den Lippen brannte, schnappte er ihn kurzerhand an den Schultern, hob ihn hoch, setzte ihn am Rand der Wiese wieder ab und setzte sich zu ihm. Dann erzählte er dem Kind von Walen, die noch schwerer waren als Elefanten, deren Gewicht aber das Wasser trug, und von Sauriern und Mammuts, die allesamt noch größer und schwerer gewesen waren, von denen man aber heute nur mehr Knochen finden konnte. Und er erzählte von den Elefanten, die heute zwar die größten und schwersten Tiere am Festland waren, aber sehr, sehr vorsichtig und sensibel sein konnten. Der Bub hatte sich ganz dicht an ihn geschmiegt, sein Blick ruhte auf dem nahen Dorf, aber Ohren und Geist gehörten ganz den ruhigen, spannenden Worten seines Vaters. Ein Bild des Friedens.

Nach einer Weile musste der Mann aber abbrechen, zum einen, weil es langsam kühl wurde und zum anderen, weil ihm nichts mehr dazu einfiel. Sie standen also auf, putzten anhaftendes Gras von ihren Hosen, fassten einander wieder an den Händen und trabten einträchtig los, als der Kleine sagte:

„Und warum ist der Himmel blau?“

Schon wieder! Wurde der denn niemals müde? Der Mann zuckte resigniert die Schultern.

„Bist du sicher, dass er blau ist?“, fragte er zurück.

„Nur die Wolken, die sind weiß“, meinte der Kleine.

Also zeigte ihm sein Vater, dass der Himmel an manchen Stellen dunkler und an anderen Stellen heller blau war und dass sie am Horizont im Westen sogar schon einen leichten Rotschimmer erkennen konnten. Dann erzählte er ihm möglichst kindgerecht von weißem Licht, das unter verschiedenen Winkeln auf die Atmosphäre trifft, von den Luftteilchen in seine Farbbestandteile zerlegt wird und so die Himmelsfarben erzeugt. Und flugs waren sie zu Hause.

Ja, so hatte es sich wohl zugetragen, dachte Georg und musste schmunzeln. Damals war er der Kleine gewesen, voller Fragen, voller Neugier auf die Welt, von der sein Vater ihm ohne müde zu werden erzählt hatte. Na ja, das war jetzt wohl ein wenig übertrieben, denn heute konnte er erahnen, dass auch sein Vater irgendwann ermattet abgebrochen haben musste. Wahrscheinlich hatten dann seine Eltern den kleinen Georg kurzerhand ins Bett gesteckt oder mit einem Zeichenblock beschäftigt.

„Wie schnell läuft ein Leopard?“

Oh je, er war abgeschweift und blickte nun in zwei vorwurfsvolle Augen, die fragend an ihm hoch schauten. Ja, nun war er der Vater und auch sein Sohn wollte nicht locker lassen, wenn er eine Frage gestellt hatte.

„Zirka hundert km/h“, antwortete er schließlich und erzählte dann so viel er wusste über ähnlich schnelle Tiere: Strauß, Gepard, Adler – bis der kleine Mann eingeschlafen war. Wie sich das Leben wiederholte!

„Er ist wie ich“, sagte Georg seufzend zu seiner Frau, als sie den Abend bei einem Gläschen Wein ausklingen ließen. Sie lächelte und war stolz auf ihre beiden Männer: Der eine, lebhaft und neugierig, versuchte so viel wie möglich aufzusaugen wie ein Schwamm, um es in seinem Kopf zu seinem ersten Weltbild zu verweben. Der andere hatte, obwohl schon ein wenig abgeklärt, das Kind in seinem Inneren auch noch nicht aufgegeben.

„Erinnerst du dich an seine ersten Schitage?“, fragte Marianne.

Bei diesem Wort ächzte Georg so richtig, musste gleich darauf aber lachen, obwohl er die Schmerzen noch zu spüren meinte. In jenem Winter, in dem der Kleine erstmals auf Schiern gestanden war, hatte er ihn den Hang am Babylift hinauf bugsiert, vor sich das Kind und im Knie den gnadenlos harten Bügel des Liftes. Bei den Abfahrten hatte er ihn das sichere Fahren im Schneepflug gelehrt, mit der Angst im Nacken vor der nächsten Bergfahrt. Denn immer tiefer war das Blau in seiner Kniekehle geworden und immer schmerzhafter der Bügel. Aber der Einsatz hatte sich gelohnt, denn schon im nächsten Winter war der kleine Pistenflitzer recht selbstständig unterwegs gewesen. Nur als Georg, von mehreren Abfahrten ermattet, immer wieder zwischendurch hatte abschwingen müssen, um ein wenig zu verschnaufen, war der unermüdliche Wicht an ihm vorüber gesaust und hatte ihm zugerufen:

„Nicht stehen bleiben, weiterfahren!“.

„Anstrengend ist er schon“, meinte Georg. Marianne nahm zärtlich seine Hand und lächelte ihn an:

„Ja, das Leben ist hart, aber gerecht! Irgendwann zahlt es einem alles zurück.“

Georg grinste gequält, aber sie zwinkerte ihm zu:

„Freue dich über das, was er heute von dir will - in ein paar Jahren wird er nach deinem Autoschlüssel fragen.“

Der zweite Teil von der CD "Wege":  

 

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